PNP Feuilleton / April 2025
Wenn es ein Symbolgeräusch gibt für die Parallelwelt hinter Gittern, dann ist es das metallische Klirren des Schlüsselbunds. Jedes Mal aufs Neue holen ihn die Justizvollzugsbeamten hervor, um eine der unzähligen Türen auf- und wieder zuzusperren. Verwoben mit dem Schlagen der Türen und den hallenden Schritten auf den fahl erleuchteten Gängen prägt es die Soundkulisse des Lebens von rund 800 Häftlingen in der JVA Straubing. Was macht den Menschen aus? Und was vermag Kunst? Es sind existenzielle Fragen, die sich hinter den meterhohen grauen Mauern mit Stacheldraht und unter Dauerbewachung stellen. Seit vielen Jahren findet hier regelmäßig ein Theaterprojekt statt, bei dem Gefängnisinsassen mit einem professionellen Regisseur ein Stück erarbeiten. In diesem Jahr wird Friedrich Dürrenmatts Komödie „Romulus der Große“ gespielt, die sechs Aufführungen sind öffentlich.
Wer in der JVA Straubing seine Haft absitzt, ist hier nicht wegen einer Bagatelle. Stattdessen finden sich hier Kapitalverbrecher, nicht wenige davon zu lebenslanger Haft verurteilt. Es sind Männer wie Christopher, 40 Jahre alt, der schon seit über zehn Jahren in der JVA Theater spielt, langsam neigt sich seine Haft dem Ende zu. Oder Männer wie Christian, 34 Jahre alt. Seit neun Jahren ist er im Gefängnis, mindestens sechs Jahre stehen ihm noch bevor. „Das Theater liegt uns allen sehr am Herzen“, sagt Christopher, und es bringe Abwechslung und Sinn in den sonstigen Haftalltag. „Wenn ich Theater spiele, vergehen die Tage gefühlt viel schneller“, sagt Christian. An einem Abend Mitte April steht er erwartungsvoll in der Turnhalle der JVA. Es ist die erste von wenigen Endproben, bevor die Premiere ansteht. Hierfür wurde die Halle mit Dämmmatten ausgelegt, ein Zuschauerraum abgeteilt und eine Bühne errichtet. Rosa getünchte Säulen mi tönernen Büsten ragen dort in die Luft, in der Mitte thront ein rotes Samtsofa. Inmitten dieser antiken Welt grüßt Regisseur Sebastian Goller locker in die Runde, nimmt noch einen Schluck Kaffee, dann geht es los. Rund 15 Männer verschiedenen Alters sind an diesem Abend versammelt, seit vergangenem Herbst haben sie dreimal die Woche geprobt, Text gepaukt, Rollen erarbeitet, Kulissen geschreinert, Kostüme genäht und Requisiten gebastelt. Anschließend wurden sie wieder in ihren Zellen gebracht, der Schlüsselbund klirrte, die Tür schloss sich. Kunst unter Extrembedingungen also. Einerseits. Andererseits beschäftigen die Darsteller die profanen Probleme eines ganz normalen Amateurtheaters: Die Bühnenwände müssen dringend gestrichen werden, manches Mal noch hakt es bei der Textsicherheit.
Für Sebastian Goller ist das Theater in der JVA wesentlicher Teil einer Resozialisierung. „Ich finde, jeder Mensch hat ein Recht auf Kunst – ganz egal, wo er ist“, sagt der Regisseur, und dass die Menschen neben den Härten des JVA-Alltags auch mit Theater in Kontakt kommen könnten, helfe dabei, dass sie „nicht innerlich verkümmern“. Was jeweils der Grund dafür sei, dass die Männer hier gelandet seien, hat für Goller bei seiner Arbeit keine Bedeutung. „Hier im Theater arbeite ich nicht mit der Tat, sondern ich arbeite mit den Menschen“, so Goller. Mit „Romulus der Große“ hat er ein gesellschaftskritisches Stück mit geistvollem Sprachwitz ausgewählt, das in seiner absurd-komischen Handlung denkbar aktuell erscheint. Der Inhalt in Kürze: Romulus, der letzte römische Kaiser sitzt dekadent auf seinem Sofa und interessiert sich nur für seine Hühnerzucht. Dass parallel die Legionen sterben, ist ihm egal, tatenlos erwartet er das Ende seines Reichs. Dann aber taucht der Feldherr Odoaker auf, der vermeintliche Todfeind entpuppt sich als egomaner Bruder im Geiste und während die beiden dem Luxus frönen, implodiert das Imperium. „Romulus ist ein Stück über eine Zeitenwende, in dem es darum geht, was passiert, wenn ein westliches Reich untergeht“, sagt Goller.
In der Turnhalle der JVA begeben sich die Darsteller mit sichtbarer Spielfreude hinein in die satirisch überspitzte Erzählung einer Apokalypse, feilen an den Szenenübergängen und Pointen. Dort, wo ansonsten die Schlüssel klirren und die Türen ins Schloss fallen, bekommt das Bild der „Bretter, die die Welt bedeuten“ noch einmal eine ganz andere Bedeutung. „Dass zu unseren Aufführungen auch Menschen von außen kommen, ist etwas ganz Besonderes. Wenn das Theater beginnt, vergisst man, dass man im Gefängnis ist“, sagt Christian. „Die Lichter im Saal gehen aus, die Lichter auf der Bühne an und man ist einfach im Theater. Das ist ein kleines Stückchen Freiheit“.