Großes Kino mit Grusel­faktor

crescendo / März 2025

Achtung, es wird blutig, herrlich morbide und ausgesprochen makaber. Allzu zartbesaitet sollte man auf jeden Fall nicht sein, wenn man sich in die Aufführung des Musicalthrillers „SWEENEY TODD – Der Barbier des Grauens von Fleet Street“ wagt, der bis Mitte Juli am Landestheater in Linz zu sehen ist.

Schließ­lich geht es hier im wahrsten Sinne des Wortes ans Einge­machte. Mit dem nötigen Nerven­köstum ausge­stattet aber ist die Insze­nie­rung (Regie und Choreo­gra­phie Simon Eichen­berger) ein großes Vergnügen, das mit außer­ge­wöhn­li­cher Dichte, filmi­scher Inten­sität und emotio­naler Wucht in den Bann zieht.

Ursprung der wilden Geschichte ist ein Groschen­roman aus den 1850er Jahren, der 1970 von Chris­to­pher G. Bond zu einem Thea­ter­stück verar­beitet wurde, um als Musical nur wenige Jahre später zum gefei­erten Bühnenhit zu werden. Spätes­tens seit der Verfil­mung des grausig-prickelnden Stoffes mit Johnny Depp und Helene Bonham Carter ist „Sweeney Todd“ weithin bekannt.

Die Kern­story ist schnell erzählt: Einst lebte der Barbier Benjamin Barker (Max Niemeyer) ein fried­volles Leben mit Gattin und Kind. Dann aber verbannte ihn der Richter Turpin auf Jahre unschuldig ins Gefängnis, verge­wal­tigte seine Frau und entführte seine Tochter. 15 Jahre später kehrt Barker verwan­delt und von Rache-Sucht getrieben nach London zurück. Sein neuer Name: Sweeney Todd. Sein Ziel: Turbin auf seinen Barbiers­stuhl zu bekommen, um ihm die Kehle durch­zu­schneiden. Der erste Versuch aber geht schief und Todd dreht durch. Wahllos beginnt er, seine Kunden zu meucheln, kaum ein bärtiger Hals ist vor ihm sicher. Zu seiner Part­nerin in Crime wird derweil die bis dato erfolg­lose Bäckerin Mrs. Lovett (Daniela Dett), die ihren Laden direkt unter Todds Barbiers­stube betreibt. Ihr mangelt es an güns­tigem Fleisch für ihre Pasteten und schnell ahnt sie ein viel­ver­spre­chendes Geschäfts­mo­dell. Die Idee: Todd wird seine Leichen los, sie macht endlich Umsatz und beide können gemeinsam dem Wohl­stand frönen. Die Zusam­men­ar­beit wird entspre­chend gene­ral­stabs­mäßig orga­ni­siert: Vom kipp­baren Barbier­stuhl rutschen die frisch aufge­schlitzten Opfer direkt in die Back­stube, wo bereits der Fleisch­wolf wartet. Win-win könnte man meinen, doch Todd fiebert immer wahn­sin­niger dem Besuch des Rich­ters entgegen und die Situa­tion eska­liert. Parallel dazu versucht der verliebte Anthony (Chris­tian Fröh­lich) Todds Tochter Johanna (Valerie Luksch) aus den Fängen Turpins (Karsten Kenzel) und seines unter­wür­figen Büttels (Enrico Treuse) zu befreien, während auf den Straßen eine irre Bett­lerin (Sanne Mieloo) ihre Klage­ge­sänge anstimmt und in der Back­stube Mrs Lovetts Helfer Tobias (Lukas Sand­mann) für Hack­fleisch sorgt.

„Sweeney Todd ist in Wahr­heit ein Film für die Bühne“, schrieb der Kompo­nist Stephen Sond­heim einst über sein Musik­thea­ter­werk und getreu dieser Einord­nung schöpft man in Linz bei der Gestal­tung des packenden Stoffs aus dem Vollen. Die gesamte Bühne ist in düsteres Licht getaucht, dreckig, verwahr­lost und voll bitter­armer Gestalten zeigen sich die Straßen des vikto­ria­ni­schen Londons. Vor dieser Kulisse wird das Barbier­studio samt Back­stube und Paste­ten­shop mit impo­santer Bühnen­technik in Szene gesetzt (Bühne: Charles Quiggin, Licht­de­sign: Michael Grundner) und laufen die Darsteller alle­samt zur Hoch­form auf. Max Niemeyer mimt den rach­süch­tigen Sweeney Todd mit unmit­tel­barer schau­spie­le­ri­scher Präsenz, stimm­li­chem Volumen und einer ordent­li­chen Portion Wahn­sinn, bei der doch auch immer noch ein Rest Mensch­lich­keit durch­scheint. Daniela Dett wiederum bril­liert als gnadenlos kalku­lie­rende Fleisch­händ­lerin und liefert inmitten des Grauens zahl­reiche komö­di­an­ti­sche Momente. Auch die weiteren Rollen sind exzel­lent besetzt, darunter Karsten Kenzel als fantas­ti­scher Wider­ling und Chris­tian Fröh­lich als schmach­tender Anthony. Bei allen Extremen und wuch­tigen Bildern ist die Perso­nen­ge­stal­tung dabei ausge­spro­chen detail­liert und fein gehalten und bleibt trotz des heftigen Gesche­hens immer ein letzter Rest Leich­tig­keit. Das Bruck­ner­or­chester liefert mit der opern­haft durch­kom­po­nierten Musik von Sond­heim dazu unter Leitung von Tom Bitter­lich den passenden Sound­track. Eindring­lich inter­pre­tiert fährt dieser direkt in die Magen­grube und unter­malt voll­endet das stim­mungs­volle Drama, das gerade in den Chor­szenen (bei denen ergän­zend Studenten der MuK Privat­uni­ver­sität der Stadt Wien mitwirken) beson­ders mitrei­ßend ist. Am Ende gibt es Stan­ding Ovations für wahr­lich großes Kino am Linzer Landes­theater. Ob man danach gut schlafen kann, ist ein anderes Thema.