Das Leben vor den Gittern

KOMMUNAL / März 2023

Kommunen mit einer Justizvollzugsanstalt haben ein gewöhnungsbedürftiges Alleinstellungsmerkmal. Was für die meisten die Ausnahme ist, ist dort Normalität: Ein Gebäude mit Gittern mitten im Ort, An- und Abtransporte von Insassen, Freigänger im offenen Vollzug und besondere Sicherheitsvorkehrungen. Gleichwohl ist die JVA ein autarkes System, das auf die Kommune oft nur indirekt wirkt. So etwa in Schwäbisch Hall. In den 1840er Jahren wurde das Gefängnis in Innenstadtnähe am Kocher erbaut, 1998 zog die JVA in das Gewerbegebiet Stadtheide im Westen der Stadt. Heute ist die JVA zwar ein großer Arbeitgeber, „Berührungspunkte mit dem Alltag vieler Schwäbisch Hallerinnen und Haller gibt es aber nur wenige“, so der Oberbürgermeister Daniel Bullinger, und es seien auch keine Ängste in der Bevölkerung wahrzunehmen. In der täglichen Arbeit der Stadtverwaltung spielt die JVA laut Bullinger nur eine geringe Rolle, etwa wenn es um melderechtliche Formalitäten geht oder Abstimmungen bei konkreten Projekten. So gab es etwa einen intensiven Austausch im vergangenen Jahr, als es um die Entscheidung ging, ob in der Nachbarschaft der JVA ein Maßregelvollzug durch das Land errichtet wird.

In Dieburg liegt die JVA unweit der Fußgängerzone derart zentral, dass man ständig daran vorbei läuft, wie Bürgermeister Frank Haus feststellt. Von den Dieburgern wird dies routiniert hingenommen. „Ich bin selbst hier geboren und aufgewachsen, das Gebäude gehört einfach dazu – darüber denkt man kaum mehr nach“, sagt der Bürgermeister, und abgesehen von der räumlichen Nähe gäbe es kaum Berührungspunkte zwischen der Bevölkerung und der JVA. Vielmehr sei diese eine „kleine Stadt in der Stadt“, ein in sich geschlossenes System, unabhängig von den Geschehnissen jenseits der Mauern. Innerhalb des Gebäudes werden in dem ehemaligen Kloster seit über 200 Jahren Häftlinge untergebracht, wobei die meisten davon eine Freiheitsstrafe von maximal 2 Jahren absitzen. 280 männliche Häftlinge sitzen derzeit in den zwei Haftgebäuden ein, sechs davon sind aktuell im offenen Vollzug, d.h. sie dürfen tagsüber die Anstalt verlassen um außerhalb einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Für die Wirtschaftsunternehmen vor Ort bietet die JVA durchaus attraktive Möglichkeiten, da die meisten Häftlinge innerhalb des Gefängnisses einer Beschäftigung nachgehen und Aufträge an die JVA vergeben werden können. Größter Auftraggeber der JVA ist aktuell das Unternehmen Senator, für das die Häftlinge Kugelschreiber montieren und verpacken. Zwischen Stadt und JVA-Verwaltung gibt es einen anlassbezogenen Austausch. So wurden im vergangenen Herbst etwa Kooperationen für den Fall eines Strom- oder Gasausfalls abgesprochen und wurde der 23. Unternehmer-Treff der Stadt Dieburg in der JVA abgehalten, um einen Einblick in die Strukturen und Abläufe hinter den Mauern zu bekommen. „Es ist kein Miteinander, aber ein harmonisches Nebeneinander“ beschreibt Haus die Beziehung zwischen Stadt und JVA, gleichwohl der Sitz der JVA mitten im Ort „für die Kommune keine Vorteile“ bringe. Gerade in städtebaulicher Hinsicht bewertet der Bürgermeister das monumentale Gebäude im Stadtkern als sehr störend. „Das ist eine 1 A Lage, die ideal geeignet wäre für eine städtische Wohnraumerschließung“, so Haus, und mittel- und langfristig sei es das Ziel, diese Flächen anderweitig zu nutzen. Allerdings: „Das sind dicke Bretter, die man da bohren muss und aktuell gibt es keinerlei konkrete Bestrebungen des Landes Hessen zur Schließung oder zum Neubau der JVA Dieburg auf der grünen Wiese“, so Haus.

Kaisheim in Schwaben, mit 4000 Einwohnern ein kleiner Ort. Wäre da nicht die riesige JVA, die mitten im Ortskern thront. „Die JVA prägt definitiv das Leben hier“, sagt Bürgermeister Martin Scharr, und so führe nicht nur der komplette Liefer- und Postverkehr zur JVA am Zentrum vorbei, es kenne auch jeder Bürger den Bus mit den kleinen Fenstern, der am Donnerstagvormittag vorfährt. Dann ist „Zugangstag in der JVA“, wie Scharr sagt und neue Insassen werden gebracht und andere abgeholt. Schon aufgrund der personellen Verhältnisse hat die JVA in dem Markt ein großes Gewicht. „In einer Kommune mit nur 4000 Einwohnern sind 600 Inhaftierte ein enormer Anteil“, so Scharr. Hinzu kommen die 300 Bediensteten plus jede Menge Lieferdienste und Besucher. Auch durch die räumlich wuchtige Lage der JVA liege in Kaisheim „kulturell eine gewisse Fläche brach“, wie Scharr sagt. Für alle, die erstmals nach Kaisheim kommen, sei diese massive Präsenz durchaus mit Irritationen verbunden. „Im ersten Moment ist das schon sehr ungewöhnlich für viele und durchaus mit Ängsten besetzt, gerade für Neubürger, die erst nach Kaisheim gezogen sind“, so der Bürgermeister. Mit der Zeit aber werde die Besonderheit zur Normalität und gebe es durchaus Schnittstellen zur Bevölkerung, beispielsweise die Gärtnerei, die seit 1970 als Eigenbetrieb der JVA in Kaisheim ansässig ist. Laut Scharr kaufen die Kaisheimer regelmäßig dort ein und schätzen es, durch die JVA eine Gärtnerei vor Ort zu haben. Für die Kaisheimer Kommunalverwaltung geht mit der JVA vor Ort ein deutlich höherer Arbeitsaufwand einher. „Die gesamten An- und Abmeldungen laufen über uns – wenn ein Insasse länger als ein Jahr hier inhaftiert ist, muss er ganz regulär gemeldet werden“, sagt Scharr. Pro Woche seien das 8 bis 10 An- und Abmeldungen, Wohnort „Abteistraße 10“. Gäbe es die JVA nicht, könnte hier laut Scharr durchaus Personal reduziert werden. Außerdem ist regelmäßig das Standesamt involviert wenn es um Vaterschaftsanerkennungen oder Trauungen geht. Auch für die Instandhaltung und Gestaltung der örtlichen Infrastruktur spielt die JVA eine Rolle. So muss die Kommune für die zahlreichen Bediensteten, Vertreter und Besucher eine große Anzahl an Parkplätzen bereithalten, die das Zentrum beherrschen, zudem kommt es laut Scharr zu einer stärkeren Abnutzung der Straßen durch den erhöhten Verkehr rund um die JVA. Darüber hinaus bestimmen immer wieder Sicherheitsthemen die kommunalen Abstimmungen. Dementsprechend hat man sich etwa mit der Abwehr von Drohnen beschäftigt, um das Einbringen von nicht erlaubten Gegenständen in die JVA zu verhindern und hierzu bestimmte Straßenbereiche nur für Anwohner zugelassen. Zudem wurden im zentralen Parkwasserkanals spezielle Gitter angebracht, damit die Inhaftierten keine Fluchtmöglichkeiten haben. Das Problem für die kleine Kommune: Die JVA prägt zwar den Ort, gleichzeitig werden keine Gewerbe- und keine Umsatzsteuern gezahlt, gibt es also keine kommunalen Einnahmen. Früher gingen mit den Arbeitsplätzen Neubürger für Kaisheim einher, da es eine Residenzpflicht für Bedienstete gab. Diese ist längst gefallen und so leben mittlerweile nurmehr 10 Prozent der Bediensteten in Kaisheim. „Wir haben viel Infrastruktur vorzuweisen für die es bislang keinen Ausgleich gibt“, sagt Scharr, der sich deshalb für eine Sonderzulage einsetzt. Um die Sicherheit im Ort macht sich der Bürgermeister gleichwohl keine Sorgen. Zum einen seien die Vorkehrungen gut. Zum anderen weiß er: „Ein Gefangener, der ausbricht, versucht so schnell wie möglich wegzukommen aus dem Ort.“