Texte

Wo selbst Massentourismus magisch ist – das Opernfestival in der Arena di Verona

NZZ / August 2025

Einen kühlen Kopf zu bewahren, schadet bekanntlich nicht, doch es gibt Orte, die auch den distanziertesten Zeitgenossen in Windeseile zum Romantiker mutieren lassen. Die Arena di Verona ist so ein Ort und die Realität toppt hier jedes Klischee. Schon von weitem ist der Zauber der größten Freilichtbühne der Welt zu erahnen. Ein Schwirren und Raunen liegt in der Luft in den verwinkelten Gassen Veronas und der angeblich „italienischste Ort auf Erden“ macht seinem Titel alle Ehre. Die Sommerhitze liegt schwer in der Luft, es geht vorbei an efeubewachsenen Balkonen, malerisch-bröckelnden Hausfassaden und nimmermüden Souvenir-Verkäufern, auf der einen Seite türmen sich in der Eisdiele cremig-süße Sorten in grellen Farben, auf der anderen Seite servieren befrackte Kellner Vino und Pasta, reiben Parmesan und verteilen Olivenöl auf den Tischen. Immer dichter wird der Strom der Menschen auf den engen Wegen, Damen in extravaganten Sommerkleidern flanieren neben Touristen im weit aufgeknöpften Leinenhemd, Kinder wuseln zwischen den Beinen ihrer Eltern hindurch und irgendwo singt jemand „O sole mio“. Noch einmal ums Eck gebogen, dann liegt sie vor einem: Die Arena di Verona, jener Ort, an dem seit mittlerweile über 100 Jahren Operngeschichte geschrieben wird und Magie und Massentourismus Hand in Hand gehen...

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„Das ist ein kleines Stückchen Freiheit“

PNP Feuilleton / April 2025

Wenn es ein Symbolgeräusch gibt für die Parallelwelt hinter Gittern, dann ist es das metallische Klirren des Schlüsselbunds. Jedes Mal aufs Neue holen ihn die Justizvollzugsbeamten hervor, um eine der unzähligen Türen auf- und wieder zuzusperren. Verwoben mit dem Schlagen der Türen und den hallenden Schritten auf den fahl erleuchteten Gängen prägt es die Soundkulisse des Lebens von rund 800 Häftlingen in der JVA Straubing. Was macht den Menschen aus? Und was vermag Kunst? Es sind existenzielle Fragen, die sich hinter den meterhohen grauen Mauern mit Stacheldraht und unter Dauerbewachung stellen. Seit vielen Jahren findet hier regelmäßig ein Theaterprojekt statt, bei dem Gefängnisinsassen mit einem professionellen Regisseur ein Stück erarbeiten. In diesem Jahr wird Friedrich Dürrenmatts Komödie „Romulus der Große“ gespielt, die sechs Aufführungen sind öffentlich.

Wer in der JVA Straubing seine Haft absitzt, ist hier nicht wegen einer Bagatelle. Stattdessen finden sich hier Kapitalverbrecher, nicht wenige davon zu lebenslanger Haft verurteilt. Es sind Männer wie Christopher, 40 Jahre alt, der schon seit über zehn Jahren in der JVA Theater spielt, langsam neigt sich seine Haft dem Ende zu. Oder Männer wie Christian, 34 Jahre alt. Seit neun Jahren ist er im Gefängnis, mindestens sechs Jahre stehen ihm noch bevor. „Das Theater liegt uns allen sehr am Herzen“, sagt Christopher, und es bringe Abwechslung und Sinn in den sonstigen Haftalltag. „Wenn ich Theater spiele, vergehen die Tage gefühlt viel schneller“, sagt Christian. An einem Abend Mitte April steht er erwartungsvoll in der Turnhalle der JVA. Es ist die erste von wenigen Endproben, bevor die Premiere ansteht. Hierfür wurde die Halle mit Dämmmatten ausgelegt, ein Zuschauerraum abgeteilt und eine Bühne errichtet. Rosa getünchte Säulen mi tönernen Büsten ragen dort in die Luft, in der Mitte thront ein rotes Samtsofa. Inmitten dieser antiken Welt grüßt Regisseur Sebastian Goller locker in die Runde, nimmt noch einen Schluck Kaffee, dann geht es los. Rund 15 Männer verschiedenen Alters sind an diesem Abend versammelt, seit vergangenem Herbst haben sie dreimal die Woche geprobt, Text gepaukt, Rollen erarbeitet, Kulissen geschreinert, Kostüme genäht und Requisiten gebastelt. Anschließend wurden sie wieder in ihren Zellen gebracht, der Schlüsselbund klirrte, die Tür schloss sich...

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Von der kindlichen Überlegenheit überrollt

Deutsches Schulportal / Elterkolumne August 2025

„Keine Ahnung. Frag mal Papa“. So lautete etliche Jahre meine bewährte Standard-Antwort, wenn meine Jungs mal wieder eine dieser faszinierend spezifischen Kinderfragen stellten und etwas von mir wissen wollten, was mein leider reichlich durchlöcherter Bildungshorizont nicht hergab. Welcher Dinosaurier die längsten Knochen und den größten Hunger hatte zum Beispiel. Wie man von uns am besten an den Südpol kommt und wen man dort antreffen wird. Oder wie der Sender eines Feuerwehrfunkgeräts funktioniert.

Die traurige Wahrheit ist: In derartigen Angelegenheiten gerate ich zuverlässig ins Schwimmen. Geographische Koordinaten, technische oder gar tierische Belange sind meine Sache nicht, und ich spreche hier nicht von versiertem Detailwissen, sondern teilweise von gravierenden Mängeln an der Basis. Wie ich mein Abitur und am Ende meinen Doktortitel trotz eklatanter schwarzer Flecken in der Allgemeinbildung dennoch bekommen habe, ist eine andere Geschichte. Heute setze ich stattdessen auf vertiefte Kenntnisse in meinen Herzensbereichen – zwischenmenschliche Beziehungen zum Beispiel, sozialpsychologische Phänomene, Musik und die Kraft der Sprache. In jedem Fall betrachte ich es als schicksalhafte Fügung und großes Glück, dass ich für die ganzheitliche Bildung der Nachkommen einen Joker an meiner Seite habe: den ausgesprochen breit gebildeten, interessierten und tagesaktuell informierten Vater meiner beiden Jungs, der die Fragen unserer Söhne viele Jahre lang, unterstützt durch Master Google und das ein oder andere Fachmagazin im Regal, mit Versiertheit beantworten konnte.

Ganz am Anfang gab es natürlich auch bei mir ein paar goldene Jahre der mütterlichen Allwissenheit....

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Großes Kino mit Grusel­faktor

crescendo / März 2025

Achtung, es wird blutig, herrlich morbide und ausgesprochen makaber. Allzu zartbesaitet sollte man auf jeden Fall nicht sein, wenn man sich in die Aufführung des Musicalthrillers „SWEENEY TODD – Der Barbier des Grauens von Fleet Street“ wagt, der bis Mitte Juli am Landestheater in Linz zu sehen ist.

Schließ­lich geht es hier im wahrsten Sinne des Wortes ans Einge­machte. Mit dem nötigen Nerven­köstum ausge­stattet aber ist die Insze­nie­rung (Regie und Choreo­gra­phie Simon Eichen­berger) ein großes Vergnügen, das mit außer­ge­wöhn­li­cher Dichte, filmi­scher Inten­sität und emotio­naler Wucht in den Bann zieht.

Ursprung der wilden Geschichte ist ein Groschen­roman aus den 1850er Jahren, der 1970 von Chris­to­pher G. Bond zu einem Thea­ter­stück verar­beitet wurde, um als Musical nur wenige Jahre später zum gefei­erten Bühnenhit zu werden. Spätes­tens seit der Verfil­mung des grausig-prickelnden Stoffes mit Johnny Depp und Helene Bonham Carter ist „Sweeney Todd“ weithin bekannt.

Die Kern­story ist schnell erzählt: Einst lebte der Barbier Benjamin Barker (Max Niemeyer) ein fried­volles Leben mit Gattin und Kind. Dann aber verbannte ihn der Richter Turpin auf Jahre unschuldig ins Gefängnis, verge­wal­tigte seine Frau und entführte seine Tochter. 15 Jahre später kehrt Barker verwan­delt und von Rache-Sucht getrieben nach London zurück. Sein neuer Name: Sweeney Todd. Sein Ziel: Turbin auf seinen Barbiers­stuhl zu bekommen, um ihm die Kehle durch­zu­schneiden. Der erste Versuch aber geht schief und Todd dreht durch. Wahllos beginnt er, seine Kunden zu meucheln, kaum ein bärtiger Hals ist vor ihm sicher. Zu seiner Part­nerin in Crime wird derweil die bis dato erfolg­lose Bäckerin Mrs. Lovett (Daniela Dett), die ihren Laden direkt unter Todds Barbiers­stube betreibt. Ihr mangelt es an güns­tigem Fleisch für ihre Pasteten und schnell ahnt sie ein viel­ver­spre­chendes Geschäfts­mo­dell. Die Idee: Todd wird seine Leichen los, sie macht endlich Umsatz und beide können gemeinsam dem Wohl­stand frönen. Die Zusam­men­ar­beit wird entspre­chend gene­ral­stabs­mäßig orga­ni­siert: Vom kipp­baren Barbier­stuhl rutschen die frisch aufge­schlitzten Opfer direkt in die Back­stube, wo bereits der Fleisch­wolf wartet...

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„Du kannst auf offener Bühne von deinen Emotionen gekillt werden“ – Saimir Pirgu im Porträt

NZZ / Februar 2025

Es war einmal ein kleiner Junge in Albanien vor dem Fernseher, der eines Tages seinem Traum begegnete. So könnte sie beginnen, die Geschichte von Saimir Pirgu, dessen Biographie ohne Frage etwas Märchenhaftes an sich hat, magischer Erweckungsmoment, gute Geister und schicksalhafte Wendungen inklusive. Im Kern aber ist Pirgus Weg ein Lehrstück über die Kraft intrinsischer Motivation.

Mit 43 Jahren ist der Tenor heute international unterwegs und füllt die großen Opernpartien seines Fachs mit vielschichtigem Timbre, außergewöhnlicher Bühnenpräsenz und emotionaler Hingabe aus. Als er am 23. September 1981 in Elbasan auf die Welt kam, lag diese Zukunft in weiter Ferne. In Albanien herrschte eine kommunistische Diktatur und Pirgu kam in seiner Kindheit kaum über die Stadtgrenzen hinaus. Die Oper kannte in seinem Umfeld niemand, stattdessen erklang nationale Volksmusik auf den Straßen der Stadt und obwohl seine Eltern keinerlei musikalische Vorbildung hatten, übte die Welt der Klänge auf Pirgu schon früh eine magische Anziehungskraft aus. „Die Musik war von Anfang an in mir“, sagt Pirgu, der schon als Kleinkind zu singen begann und in der Vorschule als besonders talentiertes Kind für den Geigenunterricht angemeldet wurde. Wirklich warm geworden ist er in den folgenden zehn Jahren nie mit dem ihm auferlegten Instrument. Und doch: „Auch wenn das damals nicht mein Wunsch war, hat mir das Geigenspiel viel gebracht. Bei der Geige muss man extrem fein hören und den Klang erst einmal suchen – das hilft mir bis heute“, sagt Pirgu.

Seine wahre Berufung erkannte der damals 13-Jährige, als eines Abends eine Aufzeichnung des Auftritts der 3 Tenöre in den Caracalla-Thermen im Fernsehen lief. Was genau damals im Wohnzimmer in Elbasan passierte, lässt Pirgu noch heute um Worte ringen...

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«Wenn man Kunst macht, darf man keine Angst davor haben, dass Leute sich aufregen», sagt der Komponist Moritz Eggert

NZZ / März 2024

Er kritisiert die Nostalgie im Konzertbetrieb und akademische Blasen in der Gegenwartsmusik. Entscheidend sei nicht, was alles in den Partituren stehe, sondern dass Musik ihre Hörer unmittelbar erreiche, meint Moritz Eggert. Begegnung mit einem Provokateur wider Willen.

Mit Klischees sollte man vorsichtig sein. Jenem vom verrückten Künstler zum Beispiel, der mit Hingabe Konventionen sprengt und die Provokation zu seinem Lebensinhalt erklärt. Einer, der dieses Bild angeblich hinreichend erfüllt, ist Moritz Eggert: Komponist, Pianist und oft als «Bad Boy of Music» betitelt. Anfang März sitzt dieser böse Knabe in einem Hotel in Lörrach – und seufzt erst einmal tief. Unzählige Male schon wurde er mit diesem Klischee konfrontiert, unzählige Male schon fühlte er sich verkannt. «Ein bisschen Verrücktheit gehört dazu», sagt Eggert, aber Provokation als Selbstzweck habe ihn nie interessiert. Stattdessen gehe es ihm darum, in seiner Kunst wahrhaftig zu sein, sich selbst und den Hörern gegenüber.

Im Gespräch ist der 58-Jährige ein reflektierter, feinsinniger Zeitgenosse, der die Freiheit der Kunst mit Leidenschaft verteidigt – nicht zuletzt gegenüber Denkverboten. Genauso unbeeindruckt von ästhetischen Dogmen komponiert er auch. Mit seinem Zyklus «Hämmerklavier» erweitert er das Klavierspiel ins Performative, teilweise mit Ganzkörpereinsatz. Für die WM 2006 hat er ein Fussball-Oratorium («Die Tiefe des Raumes») geschaffen, das die religiöse Verehrung im Sport ironisiert. Und im Liederzyklus «Neue Dichter Lieben» vertont er Gedichte zeitgenössischer Autoren als Spiegel und Brechung romantischer Liebesemphase.

Oft waren die Zuhörer begeistert, manchmal hagelte es Verrisse, sogar von handgreiflichen Auseinandersetzungen im Publikum weiss er zu berichten. «Ich bin nicht auf Krawall gebürstet», stellt Eggert klar. Allerdings findet er auch: «Wenn man Kunst macht, darf man keine Angst davor haben, dass Leute sich aufregen.»...

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Das Leben vor den Gittern

KOMMUNAL / März 2023

Kommunen mit einer Justizvollzugsanstalt haben ein gewöhnungsbedürftiges Alleinstellungsmerkmal. Was für die meisten die Ausnahme ist, ist dort Normalität: Ein Gebäude mit Gittern mitten im Ort, An- und Abtransporte von Insassen, Freigänger im offenen Vollzug und besondere Sicherheitsvorkehrungen. Gleichwohl ist die JVA ein autarkes System, das auf die Kommune oft nur indirekt wirkt. So etwa in Schwäbisch Hall. In den 1840er Jahren wurde das Gefängnis in Innenstadtnähe am Kocher erbaut, 1998 zog die JVA in das Gewerbegebiet Stadtheide im Westen der Stadt. Heute ist die JVA zwar ein großer Arbeitgeber, „Berührungspunkte mit dem Alltag vieler Schwäbisch Hallerinnen und Haller gibt es aber nur wenige“, so der Oberbürgermeister Daniel Bullinger, und es seien auch keine Ängste in der Bevölkerung wahrzunehmen. In der täglichen Arbeit der Stadtverwaltung spielt die JVA laut Bullinger nur eine geringe Rolle, etwa wenn es um melderechtliche Formalitäten geht oder Abstimmungen bei konkreten Projekten. So gab es etwa einen intensiven Austausch im vergangenen Jahr, als es um die Entscheidung ging, ob in der Nachbarschaft der JVA ein Maßregelvollzug durch das Land errichtet wird.

In Dieburg liegt die JVA unweit der Fußgängerzone derart zentral, dass man ständig daran vorbei läuft, wie Bürgermeister Frank Haus feststellt. Von den Dieburgern wird dies routiniert hingenommen. „Ich bin selbst hier geboren und aufgewachsen, das Gebäude gehört einfach dazu – darüber denkt man kaum mehr nach“, sagt der Bürgermeister

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Die mit dem Lehm tanzt – Anna Heringer

BRIGITTE / Februar 2022

Die Zukunft ist goldbraun und feucht und liegt im Schnitt 40 Zentimeter unter unseren Füßen. Lehm heißt das Material, von dem Anna Heringer überzeugt ist, dass es das Bauen revolutionieren könnte – und außerdem das Klima retten und viele Menschen glücklicher machen. Doch von vorn.

Heringer, 45, wache Augen, herzliches Lachen, ist im oberbayerischen Städtchen Laufen aufgewachsen. Der Garten ihres Elternhauses lag auf einem früheren Friedhof – „die Vergänglichkeit war also allgegenwärtig, die Erdverbundenheit auch“, sagt sie. Als Pfadfinderin errichtete sie mit ihren Kameradinnen Hütten aus Holz und Erde. Erlebnisse, die sie sehr prägten, wie sie sagt. Nach dem Abitur ging sie als Entwicklungshelferin nach Bangladesch, dann nach Linz, um Architektur zu studieren.

Menschen dabei helfen, sich selbst zu helfen, und Häuser bauen – diese zwei Anliegen wollte sie verbinden. Doch die konventionelle Baupraxis, das merkte sie rasch, war dafür kaum geeignet. „Bauprojekte großer Investoren werden meist ohne Einbindung der Ressourcen vor Ort und entkoppelt von den Bedürfnissen der Menschen umgesetzt“, sagt sie. Als Material dient meist Beton, weil er gut formbar ist, vor Schall und Feuer schützt. Doch die CO2-Bilanz des Gemischs aus Zement, Sand und Wasser ist schlecht:

Drei Milliarden Tonnen CO2 gehen jährlich auf die Zement-Produktion zurück, das sind zehn Prozent des vom Menschen ausgestoßenen Treibhausgases. Zudem ist Beton nur schwer recycelbar.

Noch als Studentin suchte Heringer nach Alternativen. Ein Workshop des österreichischen Künstlers Martin Rauch stieß sie auf Lehm als Material. Das Verwitterungsprodukt aus Sand, Quarzmehl und Ton war für sie eine Offenbarung

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Sein Schmäh und seine Wut

Passauer Neue Presse / November 2022

Mit Legenden auf der Bühne ist es so eine Sache. Abnutzungserscheinungen sind möglich, Enttäuschungen ebenso, Risiken und Nebenwirkungen des Alters eben. Mit etwas Glück aber machen das Lebenserfahrung und Reife wieder wett. Bei Rainhard Fendrich, der am Sonntag im Rahmen seiner „Starkregen“-Tour in der voll besetzten Dreiländerhalle zu Gast war, ist Zweiteres der Fall.

Ob Drogensucht oder zerbrochene Ehen: Fendrich hat einiges erlebt und es ist ihm ins Gesicht geschrieben. Die Furchen sind tiefer geworden, die Haare grauer. Seine kraftvolle Stimme aber, sein Schmäh, seine Wut und seine kernige Präsenz sind unverkennbar, angereichert durch die Tiefe und Ernsthaftigkeit eines älteren Mannes auf der Suche nach dem Sinn.

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„Ich kann auch improvisieren“

Star-Geiger Daniel Hope wurde als Klassik-Virtuose berühmt. Nun veröffentlicht er ein Jazz-Album. Ein Gespräch über musikalische Grenzen und den American Dream.

Tagesspiegel / Februar 2022

Herr Hope, Ihr neues Album heißt „America“. Sie haben einmal gesagt, man würde sofort hören, wenn ein Stück aus den USA stammt. Wie würden Sie diesen besonderen Klang beschreiben?

Das ist spannend. Wenn man ein Stück von Aaron Copland hört, dann hat man eine fast klischeehafte Westernlandschaft mit einer weiten Prärie vor Augen und spürt den amerikanischen Pioniergeist. Aber genauso ist es, wenn ich Scott Joplin oder Duke Ellington, George Gershwin oder Leonard Bernstein höre: Ich denke sofort an Amerika. Daran sieht man, wie vielfältig diese Konstellation von Amerika ist und wie wichtig der afroamerikanische Einfluss war. Ebenso wichtig ist der Einfluss der Einwanderer für das, was wir als amerikanisch wahrnehmen. Wenn man Amerika in all seiner Vielfalt erlebt, erstaunt es einen immer wieder, wie groß dieses Land ist. Das hat eine enorme psychologische Wirkung. Ich habe viel Zeit damit verbracht, die Geschichten der emigrierten Musiker dort zu erforschen und mich dabei gefragt, wie sie dieses Land damals empfunden haben müssen.

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