Interview mit dem Tenor Werner Güra
crescendo / Juni 2014
Tenor Werner Güra ist ein Meister seines Fachs, sensibler Interpret, aber auch kritischer Beobachter des aktuellen Musikbetriebs. Ein Gespräch über Moorleichen bei Haydn, Räubergeschichten bei Wagner und seine ambivalente Beziehung zur Oper.
Crescendo: Herr Güra, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer jüngsten CD-Einspielung! „Scottish Airs“ von Joseph Haydn – sind Sie ein Schottland-Fan?
Güra (lacht): Oh ja. Die Landschaft dort ist einfach unglaublich. Das Land hat etwas sehr Starkes und sehr Emotionales an sich.
Crescendo: Das spürt man auch in den ‚Airs‘, wenngleich Haydn selbst ja nie in Schottland war. Was ist für Sie der Reiz an diesen musikalischen Miniaturen?
Güra: Bei den Liedern ist das Interessante, dass Haydn den Text oft gar nicht gekannt hat. Doch die Melodien sind so stark und so eindeutig in ihrem Charakter, dass Haydn sie instinktiv richtig bearbeitet hat. Da gibt es diesen Moorleichen-Charakter, dann gibt es den total ausgelassenen zynischen Charakter – das, was im Bayerischen das ‚Volks Derblecken‘ ist. Dieses Derbe, Volkstümliche merkt man hier ganz häufig.
Crescendo: Auf der CD werden Sie von drei herausragenden Musikern begleitet, Ihrem langjährigen Bühnenpartner Christoph Berner am Klavier, der Geigerin Julia Schröder und dem Cellisten Roel Dieltiens. Eine Besonderheit ist die Untergliederung der Airs durch die drei Sätze des Haydn Trios Hob.XV:27. Wie sind Sie auf diese Kombination gekommen?
Güra: Das kam aus einem Instinkt heraus. Heutzutage gibt es ja oft ganz banale, praktische, oft auch verkaufstechnische Gründe für eine Stückauswahl – dass man z.B. sagt, das darf nur ein Komponist sein, weil sonst findet man‘s nicht mehr im Regal, oder irgend so ein Blödsinn. (lacht) Bei uns war das anders: Wir haben uns überlegt, ob es etwas gibt, was den Liedern zeitlich und kompositorisch gegenüber stehen kann, dann haben wir viel ausprobiert und gemerkt: Es funktioniert.
Crescendo: Ein Schwenk zurück. Sie haben einmal gesagt, dass die erste Musik Ihrer Kindheit die von Richard Wagner war. Wie darf man sich das vorstellen?
Güra: Mein Vater war Tubist an der Staatsoper und hat immer Freikarten für Wagner bekommen. So bin ich als Acht-, Neunjähriger in Wagner Opern gegangen. Die erste Mozart-Oper habe ich eigentlich erst im Studium kennen gelernt und dass man in der Oper auch sprechen könnte, war für mich erst mal unvorstellbar. (lacht) Ich denke, Wagners Musik ist im besten Sinne nicht-intellektuelle Musik. Die greift einen direkt an und als Kind ist man der Fantasie ja noch viel mehr ausgeliefert. Für mich war bei Wagner das Heroische toll, diese Riesengeschichten mit den Drachen…da sind alle Räubergeschichten drin und das hat mich sehr fasziniert.
Crescendo: Kein Instrument ist enger mit der eigenen Persönlichkeit verwoben als die Stimme. Wie haben Sie das in Ihrer eigenen musikalischen Entwicklung erlebt?
Güra: Das Studium war für mich durchaus eine Zeit der Selbstzweifel und der Grenzerfahrungen. Ich habe ziemlich darunter gelitten, dass ich die Resultate, die ich mir gewünscht habe und die ich für mich im inneren Ohr gehört habe, beim Singen nicht umsetzen konnte, weil ich technisch dazu noch nicht in der Lage war. Das hat mich körperlich richtig belastet. Auch bis heute ist das eigentlich mein Antrieb: Danach zu suchen, wie ich in eine noch bessere Position kommen kann, damit ich mit dem Körper das tun kann, was ich mir als Endresultat wünsche. Das ist ein laufender Prozess.
crescendo: Nach dem Studium haben Sie dann zwar keine Wagner-, aber diverse andere Opernpartien gesungen und verschiedenste Inszenierungen erlebt. Was macht für Sie eine gute Produktion aus?
Güra (seufzt): Puh, das ist eine schwierige Frage. Natürlich waren in meinen 15 Jahren Operntätigkeit einige Produktionen dabei, die ich wirklich toll fand. Eine Spektakuläre darunter war etwa die „Cosi fan tutte“-Inszenierung von Doris Dörrie, eine sehr angenehme und erfrischende Arbeit mit einem tollen Endprodukt. Dann gab es aber auch einige richtige Nieten, Vollkatastrophen eigentlich. Darüber könnte man Stunden reden. Ein ganz grundsätzliches Problem der heutigen Oper liegt darin, dass Leute an ein Musikkonzept ran können, die von Musik erstmal überhaupt keine Ahnung haben. Die Idee dahinter ist: Man will zum schon bestehenden musikalischen Teil etwas Frisches, Neues hinzu geben. Das ist ja auch ok. Nur stellt man immer wieder fest, dass die Komponisten selbst ja schon großartig Regie geführt haben in ihren Stücken und damit das mit dem Neuen zusammen geht, fehlt es den meisten dann wirklich an Können und Genialität. Viele Leute sind schlichtweg nicht gut genug und das kann man in einer Regiearbeit unglaublich gut verstecken. Das können Sie nicht als Sänger, auch nicht als Dirigent, aber als Regisseur.
Crescendo: Haben Sie ein Beispiel?
Güra Ich hab mal eine Produktion in Dresden gemacht, bei der der Regisseur mit dem Noten herein kam und gesagt hat: „So, jetzt wollen wir mal schauen, was man damit machen kann“. Der hatte keine Ahnung von vorn bis hinten. Ich habe so oft erlebt, dass die Sänger den Regisseuren erklären, was in der Handlung passiert und die dann versuchen, irgendwas daraus zu basteln. Außerdem erwartet man von einem Sänger heute ein Bild wie von einem Soap-Darsteller, alles muss so echt wirken, als ob keine Musik da wäre. Zwischen diesem Anspruch und dem ursprünglichen Werk einen Weg zu finden, ist nur den wenigsten gegeben. Deshalb gibt es auch so viel Schrott.
Crescendo: Wie geht es einem da als Sänger?
Güra: Das ist gar nicht lustig. Und ich sage Ihnen eins: Die jungen Sänger stehen heute so unter Druck, dass sie alles mitmachen und nicht mehr aufmucken. Die haben ja keine Lobby. Der Chor hat eine Lobby, das Orchester auch….alle, nur die Sänger nicht. Ich will nicht alles schlecht machen, aber das sind Eckdaten, die kann man nicht wegleugnen.
Crescendo: Seit 2009 unterrichten Sie an der Musikhochschule Zürich. Was geben Sie jungen Sängern angesichts dieser unerfreulichen Situation mit auf den Weg?
Güra: Ich versuche, meinen Schülern an erster Stelle einfach das Singen beizubringen. Wenn sie in den ganzen Wust hinein geraten, müssen sie sich auf sich selbst verlassen können und frei sein, um sich der Situation zu öffnen. Das ist schwer genug.
Crescendo: Aktuell machen Sie mit der Rolle des Eumete in „Il ritorno d’Ulisse in patria“ am Opernhaus Zürich wieder einen Abstecher in die Oper, ansonsten widmen Sie sich dem Liedgesang und dem Unterrichten. Was sind Ihre Träume für die kommenden Jahre?
Güra: Meine Träume sind ganzheitlich, musikalisch und privat. Ich möchte ein Leben führen, in dem es die Musik gibt, die man toll findet und die man machen möchte. Daneben möchte ich mich aber auch immer in Freundschaften und Beziehungen weiter entwickeln können. Ich wünsche mir einen Zustand, in dem ich mich wirklich zufrieden fühle. Nicht Zufriedenheit im Sinne von Rumsitzen, Faul-Sein und Nichtstun, sondern ein gutes Verbinden der verschiedenen Ebenen. Und sollte die Oper mal wieder daherkommen – warum nicht.