John & Arthur Beare: Erste Adresse für Streichinstrumente

crescendo / Oktober 2014

20140925_101954Das Herz der Firma „J & A Beare“ im schmucken Gebäude in der Londoner Queen Anne Street 30 schlägt im Keller rechts hinten, gleich neben verstaubten Geigenkoffern, gelagerten Holzbrettern und ein paar Pappkartons. „Anti Explosive & Anti-Blowpipe Devices“ prangt dort auf einer tonnenschweren Stahltür, dahinter verborgen schlummern einbruchsicher und wohlbehütet die Kronjuwelen unter den Streichinstrumenten: Celli und Geigen, die so viel kosten wie eine Villa an der Côte d’Azur. „Wir haben Zeiten, in denen lagern hier Instrumente im Wert von 100 Millionen Dollar“, sagt Direktor Steven Smith und lächelt leise, dann streicht er zärtlich über den Hals einer haselnussbraunen Stradivari und legt sie zurück in das schlichte Aufbewahrungsfach. Das fensterlose Kellerloch mit den Holzregalen ist für Smith der wohl „sicherste Ort der Welt“ für derartige Werte, zuhauf liegen und stehen sie hier in diesem Tresor, jedes Ins­trument für sich ein Geniestreich, ein Meisterwerk mit großer Geschichte und einem Klang für die Ewigkeit.

Der Handel mit sogenannten „High-End-Streichinstrumenten“ ist eine mythenreiche und mitunter hybride Welt, die ebenso viel Raum für Legendenbildung lässt wie für den Kampf um das ganz große Geld. Nur noch 650 Stradivaris gibt es auf der Welt, und auch die Zahl der weiteren erstklassigen alten Streichinstrumente ist überschaubar. Das Angebot ist demnach begrenzt, der Handel in sich geschlossen, die Wertentwicklung enorm und der Reiz hoch, dies auszunutzen. In Wirtschaftsmagazinen häufen sich die Artikel über Geigen, von hohen Renditen ist die Rede, von Investments und Wertzuwächsen, und es scheint ein schöner Zufall zu sein, dass „fiddle“ im Englischen nicht nur „Geige“, sondern auch „betrügen“ heißt. Felix Gargerle, Erster Geiger an der Bayerischen Staatsoper und Musikproduzent, vergleicht die Stimmung in der Branche mit dem Goldgräberfieber: „Die Verlockung, hier Mist zu machen, ist so groß, dass auch ständig Mist gemacht wird.“

J & A Beare gleicht inmitten dieser Welt einer unaufgeregten Oase. Sechs Stockwerke umfasst das Haus im Zentrum Londons, und betritt man den Empfangsraum, so umfängt einen die familiäre Atmosphäre konzentrierter Geschäftigkeit. 1892 wurde die Firma von John und Arthur Beare gegründet, seither ist sie stetig gewachsen und zählt die renommiertesten Solisten zu ihren Kunden. Ob Jacqueline du Pré, Yehudi Menuhin, Nigel Kennedy oder Joshua Bell – alle verbindet sie mit J & A Beare das wohl kostbarste Gut, das sie besitzen: ihr musikalischer Partner fürs Leben, ihr Instrument.

Heute wird die Firma von Steven Smith und Simon Morris geführt, die direkt an die J & A Beare-Tradition in Sachen Geigenzertifizierung, Restauration und Handel anknüpfen und in den vergangenen Jahren für mehrere große Deals verantwortlich waren. Den Fulton-Deal etwa, bei dem Instrumente des Microsoft-Mil­liardärs David L. Fulton im Wert von knapp 50 Millionen Dollar an das St. Petersburger Mariinsky-Theater verkauft wurden, oder den Verkauf der „Vieuxtemps“-Geige des Geigenbauers Giuseppe Guarneri, deren (geheimer) Preis laut Smith noch über dem der bisherigen Spitzenreiterin lag, der „Lady Blunt“ von Antonio Stradivari, die 2011 für 15,9 Millionen US-Dollar versteigert wurde. Dass Streichinstrumente einen derartigen Wert erhalten können, ist dabei nicht erst eine Erscheinung der Gegenwart.

Die Beares-Direktoren Smith und Morris kennen sich schon lange, sie hatten früher einen eigenen Geigenhandel, 1998 fusionierten sie mit J & A Beare, seit 2012 leiten sie das Geschäft. Sie könnten auch Brüder sein: zwei englische Herren mittleren Alters, höflich, bescheiden, charmant, mit offenem Blick und feinem Humor. Bevor sie in den Geigenhandel einstiegen, haben sie als professionelle Musiker ihr Geld verdient: Smith als Geiger, Morris als Cellist. „Dass wir beide Musiker sind, ist entscheidend“, sagt Steven Smith. „Wir verstehen, was die Musiker suchen, die zu uns kommen.“

Meistens treffen die Direktoren und ihre Kunden das erste Mal im Ausstellungssaal aufeinander, einem wohnlichen Raum mit Kronleuchter und gediegenem Teppich. Auf dem Kaminsims harren alte Metronome dem Schlagen des Taktes, im übermannsgroßen goldumrahmten Spiegel reflektieren die im weißen Regal ausgestellten Geigen, dunkelrote, rostbraune oder lehmfarbene Klangkörper, Schnecke an Schnecke, Korpus an Korpus. Auf dem runden Tisch steht der obligatorische englische Tee samt Cookies bereit. Dies ist der Ort, an dem Musiker das erste Mal ihrem zukünftigen „Partner“ begegnen, der Platz für das erste Date, die erste Berührung, die Liebe auf den ersten oder zweiten Ton.

Auch Josef Kröner hat die Beares-Direktoren hier kennengelernt. 27 Jahre lang war Kröner Erster Geiger beim Bayerischen Rundfunkorchester, er hat das Orchester Klangverwaltung mitgegründet und ist heute Manager und Musiker zugleich. Der Zauber der alten Instrumente aber hat ihn erst bei J & A Beare erfasst. Damals begleitete er seine Schülerin Rebekka Hartmann auf der Suche nach dem passenden Instrument; über zehn Jahre ist das mittlerweile her, und seitdem gibt es auch für Kröner kaum eine Alternative mehr zu „den alten Italienern“, wie er sagt. Ebenso wie der Geiger Felix Gargerle spielt Kröner ein antikes Instrument von J & A Beare und beide sind sie von der unvergleichbaren Qualität der alten Meister überzeugt. „Es geht nicht nur um den Klang, es geht um den Stimulanzfaktor, den ein Instrument für den Spieler hat. Und der ist bei alten Instrumenten viel stärker“, so Kröner. Die Beziehung zwischen Instrument und Spieler ist laut Gargerle ein symbiotischer Prozess, und so habe ihm seine Geige ebenso viel abverlangt, wie sie ihm als Musiker gegeben habe. Doch J & A Beare ist nicht nur vertrauensvoller Verkaufsraum, sondern auch die erste Adresse für Reparaturen, denn im Gegensatz zu den meisten Geigenhändlern, die nur mehr reinen Boutiquehandel betreiben, pflegen Smith und Morris eine erstklassige Werkstatt.

Um den musikalischen Handwerkern über die Schulter zu schauen, braucht man vom Ausstellungsraum aus nur ein paar Stufen zu erklimmen, dann hat man den feinen Geruch von Lack in der Nase, von Wachs und altem Holz. An den Fenstern baumeln die Geigenstege vor den Dächern der Londoner Innenstadt, ein Bogenbauer inspiziert mit der Lupe die Einspannung der Pferdehaare an einem Cellobogen, ein anderer zieht mit konzentriertem Blick die Wirbel einer Bratsche fest. „Unsere Werkstatt ist extrem wichtig für uns“, sagt Steven Smith, denn es reiche nicht, nur Instrumente an den Mann zu bringen, vielmehr müssten sie auch gepflegt und betreut werden. Bei J & A Beare geschieht das mit inniger Hingabe: Die Handwerker arbeiten mit Opernmusik im Hintergrund in langsamen Bewegungen, sprechen selten, und wenn, dann leise.

Neben dem Safe mit zig Millionen schwerem Inhalt ist dieser Ort hier der größte Schatz von J & A Beare. Ergänzt wird er durch ein riesiges Archiv, das sich in den vergilbten Lederbändchen und Aktenordnern in meterlangen Regalen ebenso findet wie in den Köpfen von Steven Smith und Simon Morris. Tausende von Instrumenten haben die beiden in den Händen gehalten und studiert, jede Maserung, jede individuelle Wendung und Besonderheit hat sich bei ihnen eingebrannt. Wenn sie als Experten Zertifikate ausstellen, ist diese Erfahrung ihr größtes Pfund. Sprechen die beiden über Instrumente, so klingt es, als erzählten sie von engen Vertrauten. Mit dem Wissen und den Spuren ihrer Erzeuger im Kopf forschen die beiden Koryphäen nach der Identität der ihnen vorgelegten Klangkörper. „Man kann sich das vorstellen wie bei Verwandten, einem Großvater und seiner Enkelin zum Beispiel, die sich auf den ersten Blick kaum ähnlich sehen, wenn man sie aber genau betrachtet und die Familienbesonderheiten kennt, dann sieht man die Verwandtschaft“, sagt Simon Morris, der die Analogie zu menschlichen Familienbanden für ganz naheliegend hält. Dabei ist für das Erkennen eines Streichinstruments viel mehr als der erste farbliche Eindruck, die Form und die Holzbearbeitung entscheidend: der Schliff der Schnecke zum Beispiel, die feinen Messerspuren am Rande des Klangkörpers, die Biegung der F-Löcher oder die Wölbung des Resonanzbodens. Für viele Parameter gibt es heute wissenschaftliche Testmethoden, die Dendrochronologie etwa, mit Hilfe derer man das Alter des Holzes bestimmen kann. Die Rolle der Experten ist dennoch wichtig, denn auch wenn man das Entstehungsjahr eines Instrumentes kennt, weiß man noch lange nicht, von wem es gebaut wurde. Für Steven Smith und Simon Morris bedeutet dies einen ungemeinen Anspruch. „Wir haben eine riesengroße Verantwortung“, sagt Smith, und Morris ergänzt: „Wir garantieren für unsere Expertise und tragen hierfür die finanzielle Verantwortung. Das zwingt einen, sehr vorsichtig und bedacht zu sein.“

Wer also eine Geige bei J & A Beare kauft oder seine Geige zu Smith und Morris bringt, um sie zertifizieren zu lassen, kann sich einer akribischen Analyse gewiss sein. Für die Musiker ist diese Sicherheit inmitten der unsteten Welt des Streichinstrumentenhandels ein großer Gewinn – vorausgesetzt, sie können sich ein Instrument in dieser preislichen Liga leisten, was nur in den seltensten Fällen vorkommt. Damit die Stradivaris, Guarneris und Amatis trotzdem in die Hände hochtalentierter junger Künstler finden, haben Simon Morris und Steven Smith zusammen mit Josef Kröner 2011 eine Stiftung gegründet und führen in ihrer „Beare᾽s International Violin Society“ systematisch Sponsoren und Musiker zusammen. 14 junge Musiker haben aktuell ein Instrument geliehen, in vielen Fällen zahlen sie nicht einmal die Versicherung. Und was haben die Investoren davon? Die Gewissheit, dass sich ihr musikalischer Diamant in sensiblen Händen befindet. Und die Freude an eben jenem Zauber, der die Menschen beflügelt, seit die ersten Geigen gebaut wurden: dem Klang für die Ewigkeit.