Ganz oder gar nicht

Das A-cappella-Sextett Singer Pur feiert seinen 25. Geburtstag

Fono Forum / Mai 2017

Die besten Ideen entstehen häufig bei Gesprächen zwischen Herd und Spülbecken. Auch bei Singer Pur war es eine Küche, in der die Erfolgsgeschichte des Ensembles ihren Anfang nahm. Anfang der 1990er Jahre trafen sich in Regensburg fünf junge Männer zum Frühstück. Alle waren sie bei den Regensburger Domspatzen gewesen, mittlerweile steckten sie im Studium oder Zivildienst. Ihr gemeinsamer Traum aber war die Gründung eines professionellen A cappella-Jazzensembles. Motiviert durch die Erfolge der King Singers und Take 6, beschlossen sie an diesem Morgen die Gründung von Singer Pur. „Ganz oder gar nicht“, lautete ihre Devise, halbe Sachen standen nicht zur Diskussion. Die Folge: Alle schmissen ihr Studium und machten Ernst. Täglich ab 9 Uhr wurde geprobt und Repertoire erarbeitet, parallel engagierten die Sänger einen Manager und stürzten sich in die Öffentlichkeitsarbeit. Sie schrieben Veranstalter an und kontaktierten Produzenten, noch vor dem ersten Konzert veröffentlichten sie ihr Debutalbum und hatten schon bald beachtlichen Erfolg.

Eines der Gründungsmitglieder ist Markus Zapp, ein blonder Mann Mitte vierzig, der 26 Jahre später in einem Café in Regensburg sitzt. Er ist einer der zwei verbliebenen Sänger von damals und Zeitzeuge einer außergewöhnlichen Entwicklung. „Wir sind ziemlich schnell wahnsinnig weit gekommen“, erzählt Zapp. Getrieben von großem Ehrgeiz, einem enormen Anspruch an Perfektion und der unbändigen Energie begabter Zwanzigjähriger, die es wissen wollen, dauerte es nicht lange, und Singer Pur stand auf großen Bühnen. Sie gaben ein gefeiertes Debutkonzert in der Kölner Philharmonie, tourten gemeinsam mit dem Bundesjazzorchester durch Europa und begeisterten mit innovativen Konzertprogrammen. Alleine: Sie verdienten kaum etwas, zu spärlich waren die Honorare im Jazzbereich. Trotz des künstlerischen Erfolgs kam es zur Krise: „Wir standen vor der Entscheidung: Aufhören oder Programm erweitern“, sagt Zapp, „denn so war das wirtschaftlich nicht machbar“. Sie entschieden sich für die Öffnung des Repertoires und wenig später kam der Zufall ins Spiel. Der damalige Tenor Christian Wegmann verliebte sich in die schwedische Sopranistin Caroline Höglund und alsbald stand sie mit auf der Bühne. Fünf Männer und eine Frau, drei Tenöre, ein Bariton, ein Bass und ein Sopran – die besondere Stimmmischung von Singer Pur war geboren und sie trägt bis heute. „Für mich klingt Singer Pur wie ein dicker Schokoladenkuchen mit viel Sahne“, sagt Claudia Reinhard, die jetzige Sopranistin des Ensembles, und lacht. Der reichhaltige Kuchen, das sind die vollen Männerstimmen, die für das bauchige Timbre und den satten Grundsound verantwortlich sind. Die Sahne, das ist die strahlende Frauenstimme, die bei romantischer Literatur die Melodien führt und den Ensembleklang mit ihrem hellen und filigranen Farbton vollendet.

Innerhalb weniger Wochen zu einem gemischten Sextett gewachsen, meldete sich das Ensemble 1994 zum Deutschen Musikwettbewerb an. In kürzester Zeit erarbeiteten sie sich ein umfangreiches Wettbewerbsrepertoire von Perotin bis Ligeti und fuhren damit nach Bonn. Eine wegweisende Entscheidung: Singer Pur gewann den ersten Preis und kam in den Folgejahren in den Genuss der „Konzerte junger Künstler“ des Deutschen Musikrats. Sie sangen über 100 Konzerte im Jahr, wurden von einer großen Agentur unter Vertrag genommen und hatten nun nicht nur künstlerischen, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg.

„Der Wettbewerb war der Schlüssel“, sagt Zapp im Rückblick, und die Karriere von Singer Pur ist seither ungebrochen. Im Laufe der Jahre haben sie sich ein großes Spektrum an Repertoire erarbeitet, die deutsche Volksliedkultur wieder zum Leben erweckt und Publikum auf aller Welt begeistert. Ihr Studium haben die Sänger alle irgendwann nachgeholt, das Ensemble aber stand immer im Zentrum und bestimmt heute die Hälfte bis zwei Drittel ihres Lebens. Auch wenn es einige Mitgliederwechsel gab, gleicht die Struktur des Sextetts jener von damals. Das klangliche Ergebnis ist eine sehr farben- und nuancenreiche Mischung in immer wieder wechselnden Mischverhältnissen, wobei insbesondere das Fehlen eines Countertenors den charakteristischen Singer Pur-Sound bestimmt. Das spiegelt sich auch auf ihrem bemerkenswerten Jubiläumsalbum „Sagenhaft“, das mit Repertoire rund um Märchenstoffe fasziniert. Je nach Stück übernimmt einer der drei Tenöre Rüdiger Ballhorn, Markus Zapp oder Manuel Warwitz den Altpart in der Kopfstimme, darüber legt sich der Sopran von Claudia Reinhard, darunter schwingt der Bariton von Reiner Schneider-Waterberg und tönt der Bass von Marcus Schmidl. „Wir haben alle sehr individuelle Stimmen“, sagt Zapp, und Reinhard ergänzt: „Wir haben einen sehr reichen Klang, der nicht zwingend eben ist, aber gerade das macht uns aus“. Ebenso unterschiedlich wie die einzelnen Stimmen sind auch die Persönlichkeiten der Mitglieder. Das ist durchaus herausfordernd, denn die Ensemblestruktur ist absolut demokratisch. „Wir sind alle gleichwertig involviert. Das sind sechs Meinungen, aber vor allem sechs Chancen“, sagt Zapp. Vieles erschließe sich aus der Musik, oft aber werde auch heftig diskutiert, bevor eine Interpretation feststehe.

25 Jahre nach seiner Gründung ist ein Ende von Singer Pur nicht in Sicht. Stattdessen quellen die Schubladen der Sänger über vor Ideen und noch immer reizt sie die unendliche Vielfalt der Musik. Was sich geändert hat? Der jugendliche Leichtsinn ist Geschichte und auch die gemeinsamen Frühstücke sind weniger geworden, zu weit sind die Wege zwischen Basel, Mainz, München, Rosenheim und Regensburg, wo die Mitglieder heute leben. Geblieben aber ist „der Wille, es ganz ernsthaft zu betreiben und sein Bestes zu geben“, so Zapp. Ihn leben sie in den Proben und ganz besonders im Konzert. Was sich dann schließlich zwischen ihnen auf der Bühne ereignet, empfinden Zapp und Reinhard heute wie damals als großes Geschenk. Vor 25 Jahren nahm dieser Zauber in einer Regensburger Küche seinen Anfang…