Carolina Eyck ist die Königin des Theremins – eines elektronischen Instruments, das klingt und schwingt und surrt, ohne dass man es berührt. Hitchcock wäre stolz auf sie
CICERO / Salon / Juli 2015
Exotendasein kann anstrengend sein. All die Ohs und Ahs, die irritierten Blicke, die offenen Münder und jene Stimmen, die sich lieber nach der Gefährlichkeit von elektromagnetischen Feldern erkundigen als die Intensität der Interpretation zu bewundern. „Ich bin kein Freak“, sagt Carolina Eyck, dann zuckt sie die Achseln und steckt sich ein Stück Minzschokolade in den Mund. „Für mich ist das Theremin völlig normal und mich interessiert einfach nur die Musik, die man damit machen kann.“
Das musikalische Refugium von Carolina Eyck ist ein Wohnstudio in einer ehemaligen Spinnerei im Westen von Leipzig. Durch die Fenster fällt der Blick auf den Karl-Heine-Kanal, davor reckt eine mannshohe Kaktee ihre Arme in die Luft, von den beige gefliesten Wänden leuchten farbintensive Gemälde und auf dem Fußboden mümmelt ein frei herumlaufendes Kaninchen am Kohlblatt, während sich Kaninchen Nummer 2 geräuschvoll hinter den Löffeln kratzt. Gleich neben zwei aufgebauten Theremins, einem Keyboard, einem Notenständer und jeder Menge Kabelsalat hockt die Herrin des Instruments im Schneidersitz auf einem grauen Sofa und streichelt mit den Händen eine rosarote Plüschwärmflasche. „So wie ich gerade lebe, kann ich alles machen, was ich will. Das ist total toll und wie ein Spielplatz, auf dem es viele Plätze gibt, auf denen man sich austoben kann“, sagt Eyck, dann lacht sie laut auf und fährt sich durchs Haar.
Die zierliche junge Frau mit den dunkelbraunen Haaren und der kraftvollen Gestik ist eine der wenigen international auftretenden Theremin-Virtuosinnen. Sie konzertiert als Solistin und Kammermusikerin, schätzt die klassische Interpretation ebenso wie die Improvisation im Jazz und auch wenn sie selbst missionarischen Eifer bestreitet, präsentiert sie sich in ihren Konzerten und im Internet doch unverkennbar als Botschafterin des geheimnisvollen Spiels mit Luft und elektromagnetischer Energie. 1987 nahe Berlin geboren, umgaben Eyck schon im Krabbelalter künstlich erzeugte Klangwolken. Während ihr Vater als Musiker einer elektronischen Band Konzerte gab, saß Eyck bei ihrer Mutter hinter der Bühne auf dem Schoß und inhalierte den verwegen schwirrenden Sound. Eine elektronische Frühförderung mit Langzeitwirkung: „Auch heute noch finde ich den Klang von Synthesizern total anziehend“, so Eyck. Als sie sechs Jahre alt war stand dann ein Theremin daheim auf dem Esstisch. Ein dunkelbrauner Kasten, gekauft vom Vater, der schon immer etwas Besonderes wollte für die Tochter. Neben dem Geigen-, Klavier- und Bratschenspiel lernte Eyck in den Folgejahren also Theremin und verfiel jenem sonderlichen Klang, welcher zu Vergleichen zwingt und doch vor allen Dingen eigen ist: Ein schwebender, rufender Ton aus dem Nirgendwo, der mal einer zittrig singenden Frauenstimme ähnelt, mal einem wabernden Geigenvibrato, und der mit seinem sphärischen Timbre in jaulenden Glissandi schon so manche Hitchcock-Gänsehaut zu verantworten hatte. Eine singende Säge auf elektronisch, so sagen manche. „Das ist einfach das Theremin“, sagt Eyck, nippt am Tee und blickt tiefenentspannt in Richtung Kaninchen.
Unter den Instrumenten ist das Theremin ein Paradiesvogel. Ein wundersames elektronisches Faszinosum, das den meisten konventionellen Hörern trotz seines relativ hohen Alters für ein elektronisches Instrument bis heute weitgehend unbekannt ist. Als technologischer Vorfahre des späteren Synthesizers wurde das Theremin 1920 vom russischen Physiker Lew Termen erfunden und in späteren Jahren von der Synthesizer-Legende Robert Moog weiterentwickelt. In seinem Erscheinungsbild präsentiert sich das berührungslos gespielte Instrument denkbar puristisch: An einen Holzkasten mit Radiosender-Elektronik schließen zwei Antennen an. Beide umgibt ein elektromagnetisches Feld, das mit den Händen beeinflusst werden kann, wobei diese je nach Nähe zu den Stäben die Höhe und auf der anderen Seite die Lautstärke des Tons bestimmen.
Was auf der Bühne wirkt wie ein musikalischer Schamanentanz, untermalt von magischer Melodie, verlangt in Wahrheit beinhartes Training. Das Spiel mit dem Klang, das korrekte Messen der Abstände in der Luft, die Kunstfertigkeit der richtigen Intonation und der Liniengestaltung brachte sich Carolina Eyck zwangsläufig weitgehend autodidaktisch bei, denn nur einmal jährlich kam ihre Lehrerin Lydia Kavina aus Russland zu Besuch. So wurde Eyck nicht nur zur Virtuosin, sondern auch zur gefragten Lehrmeisterin, die ihr Wissen heute in Buchform packt und über mehrsprachige Videos im Internet verbreitet. Ein forderndes Pionierunternehmen: „Das ist schon schwer. Man muss sich immer alles selbst ausdenken und keiner hat es bereits vorgemacht“. Die internationale Theremin-Jüngerschaft weiß Eycks Einsatz zu schätzen und so pilgern Anfänger, Fortgeschrittene und Profis mehrmals im Jahr zu Theremin-Akademien in Leipzig, Colmar und Lippstadt. Unter Eycks Anleitung erkunden die Theremin-Fans dann den musikalischen Spielplatz: Sie verfeinern die Körperhaltung, perfektionieren die Spieltechnik und erzeugen beim Tanz der Finger in der Luft sinnlich fließende Klanggemälde.
Offene Münder sucht man hier vergebens. Es musizieren: Exoten unter sich.